Das Autogene Training
 

Wofür ist Autogenes Training gut?

Die Frage wofür Autogenes Training gut ist, scheint die „Wissenschaft“ nicht direkt beantworten zu können. Klar ist: Autogenes Training gilt als Entspannungsverfahren. Aber WAS kann es genau?

Hierzu gibt es einige Indikationen (die zeigen wofür es gut ist) und für die einige Studien vorliegen. Diese Studien sind für mich ebenso interessant wie die Arbeiten zu Diabetes, Krebs, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Schmerzen. Eine der wenigen Meta-Analysen zur klinischen Wirksamkeit des Autogenen Trainings wurde 2002 veröffentlicht:

Autogenic training: a meta-analysis of clinical outcome studies

Bei dieser Recherche wurden 73 kontrollierte Arbeiten gefunden, die in einem Zeitraum von 1952 bis 1999 veröffentlicht worden waren. 60 Studien wurden von den Autoren in die Auswertung einbezogen, davon 35 Studien als randomisierte, doppelblinde, Placebo kontrollierte Studien.

Die Autoren fanden einen mittelgradigen bis hohen Effekt bei den Vergleichen der Erkrankungen vor und nach deren Behandlung durch das Autogene Training. Dabei zeigten die kontrollierten Studien einen höheren Grad an Effektivität. Ein Vergleich mit anderen psychologischen Behandlungsmethoden zeigte keine signifikanten Unterschiede.

Unspezifische AT-Effekte, wie zum Beispiel Gemüts- oder Stimmungslage, kognitive Leistungsfähigkeit, Lebensqualität und andere psychologische Variablen, waren teilweise sogar noch stärker ausgeprägt als die hauptsächlichen Effekte. Separate Meta-Analysen für verschiedene Indikationen hatten ergeben, dass positive Effekte für das Autogene Training und Autogenes Training gegenüber Kontrollen in mindestens drei Studien gesehen wurden.

Hierbei handelte es sich um Spannungskopfschmerzen beziehungsweise Migräne, leichte bis mittelgradige Hypertonie, koronare Herzkrankheit, Asthma bronchiale, somatoforme Schmerzzustände, Morbus Raynaud, Unruhe- und Angstzustände, leichte bis mittelschwere Depressionen und funktionale Schlafstörungen.

Fazit: Diese Meta-Analyse gibt einen interessanten Überblick über die Arbeiten, die bis 2002 zum Autogenen Training veröffentlicht worden sind. Dabei scheint sich der Eindruck einer beachtlichen Effektivität seitens des Autogenen Trainings bei verschiedenen Indikationen zu bestätigen. Die diskutierten Arbeiten in meinen vorausgegangenen Beiträgen zum Autogenen Training zielen in genau die gleiche Richtung. Sie geben Grund zu der Annahme, dass die Ergebnisse der vorliegenden Meta-Analyse kein Zufallsprodukt sein können.

Affective and metabolic responses to hypnosis, autogenic relaxation, and quiet rest in the supine and seated positions

Diese Arbeit untersuchte den Einfluss des Autogenen Trainings und einfacher Ruhe auf Gefühlszustände und Stoffwechselparameter. Der Einfluss der Körperhaltung (sitzend oder liegend) auf beide wurde ebenfalls untersucht. Unruhe, Spannungszustände und die allgemeine Stimmungslage wurden vor und 30 Minuten nach jeder Behandlung beurteilt. Die Sauerstoffaufnahme wurde bei den Probanden dauerhaft gemessen.  Angstzustände, Spannung und die allgemeine Stimmungslage verbesserten sich signifikant bei beziehungsweise nach jeder Behandlung.

Die Sauerstoffaufnahme dagegen veränderte sich nicht, ausgenommen einer leichten vorübergehenden Erhöhung während körperlicher Betätigung. Die Autoren schlossen aus ihren Beobachtungen, dass ein dauerhaft praktiziertes Autogenes Training bei gesunden Individuen Unruhe- und Angstzustände reduzieren hilft und die allgemeine Stimmungslage verbessert. Dabei scheint es keine Unterschiede zu geben zwischen einer sitzenden oder liegenden Haltung.

Fazit: Leider gibt es keine Angaben zur Zahl der Teilnehmer an dieser Studie. Von daher lassen sich die ermittelten Ergebnisse nur schwer beurteilen. Alles in allem jedoch bestätigt diese Arbeit im Wesentlichen andere Arbeiten, wie zum Beispiel die zuvor diskutierte Meta-Analyse.

Im Jahr 2001 veröffentlichte die NASA eine Arbeit zum Autogenen Training:

Autogenic Feedback Training Exercise and pilot performance: enhanced functioning under search-and-rescue flying conditions

In dieser Arbeit geht es um die Frage, ob das Autogene Training die Wahrscheinlichkeit von Pilotenfehlern reduzieren hilft. Laut Angaben der Autoren basieren diese Fehler auf hohen psychologischen und physiologischen Stresszuständen, bei denen der Betroffene sich auf ein spezifisches Problem konzentriert und andere möglicherweise noch wichtigere Informationen zu dessen Lösung unbeachtet lässt. Diese Arbeit untersuchte speziell den Effekt des Autogenen Trainings auf die physiologische Selbstkontrolle als Mittel einer verbesserten Leistungsfähigkeit als Pilot.

Dazu erhielten 17 Piloten Autogenes Training beziehungsweise wurden einer Kontrollgruppe mit gleich vielen Flugstunden als Referenz zugewiesen. Die AT-Gruppe enthielt 4 Piloten einer HC-130 Hercules und 4 Piloten eines HH-65 Dolphin Helikopters. Die Kontrollgruppe enthielt 3 HC-130 Hercules Piloten und 6 Helikopterpiloten.

Während des ersten Flugs wurden physiologische Daten der Crew festgehalten. Ein Ausbildungspilot bewertete die individuelle Leistung der Probanden. 8 Mitgliedern der Crew wurde dann gezeigt, wie man mit Hilfe von Autogenem Training das eigene physiologische Response-Level regulieren kann. Das heißt, dass hier der Teilnehmer lernt, normale physiologische Reaktionen auf Umwelt und Situationen zu modulieren und kontrollieren, so weit dies möglich ist (durch Atmung, Imagination und so weiter).

Die Teilnehmer der Kontrollgruppe erhielten kein solches Training.
Während des zweiten Flugs zeigten die AT-Mitglieder eine signifikante Verbesserung ihrer Flugleistungen (die durch den gleichen Ausbilder beurteilt wurden wie beim ersten Flug). Die Mitglieder der Kontrollgruppe zeigten keine Veränderungen der Leistung.

Daher folgerten die Autoren aus ihren Beobachtungen, dass Autogenes Training die Flugleistungen von Piloten unter hohen physiologischen Belastungen, wie zum Beispiel bei einem Notfalleinsatz, signifikant verbessern kann.

Effects of autogenic training in elderly patients

Nicht nur Piloten oder andere Berufe mit hohen Belastungen können einen Nutzen aus dem Autogenen Training ziehen. Alte Menschen ohne Anspruch auf Höchstleistungen scheinen auch einen Nutzen zu haben.

Diese Arbeit wurde mit 32 gebrechlichen älteren Probanden durchgeführt. 24 von ihnen hatten eine psychiatrische Behandlung. Das Alter der Teilnehmer lag bei durchschnittlich 82 Jahren. Von diesen Teilnehmern waren 15 Teilnehmer in der Lage, Autogenes Training nach subjektiven Kriterien zu erlernen. 9 waren in der Lage, es nach objektiven Kriterien zu erlernen und zu beherrschen. Teilnehmer mit Demenz hatten große Schwierigkeiten, wogegen Alter, Depressionen und Zahl der Beschwerden keinen Einfluss auf die Lernfähigkeit hatten.

Der Vergleich „vorher und nachher“ bei den Trainingseinheiten zeigte eine signifikante Verbesserung des allgemeinen Wohlbefindens. Es zeigte sich weiter, dass geistig behinderte und gebrechliche alte Teilnehmer durchaus in der Lage waren, Autogenes Training zu lernen. Eine kognitive Beeinträchtigung dagegen steht einer erfolgreichen Teilnahme entgegen.

Fazit: Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr – dieses alte Sprichwort scheint zumindest für das Autogene Training nicht zu gelten, vorausgesetzt, das die kognitiven Kompetenzen noch einigermaßen erhalten sind. Aber ein Verlust derselben in jungen Jahren würde ein ähnliches Ergebnis auf die Erlernfähigkeit von Autogenem Training mit sich bringen. Somit handelt es sich hier nicht um ein direktes Problem des Alters.

Essential hypertension and stress. When do yoga, psychotherapy and autogenic training help?

Diese Veröffentlichung ist keine Studie, sondern „nur“ eine Zusammenfassung von interessanten Aspekten von verschiedenen Entspannungsübungen. Genannt werden hier Autogenes Training, progressive Muskelentspannung, Verhaltenstherapie oder Biofeedback. Allen gemeinsam ist, wie bereits diskutiert, die Entspannungsreaktion, die hauptsächlich für die positiven Effekte der jeweiligen Übung verantwortlich zu machen ist.

Laut Aussagen des Autors bewirken diese Übungen eine Senkung des Blutdrucks von durchschnittlich 10 mmHg systolisch und 5 mmHg diastolisch. Als „Nebeneffekt“ (positive Nebenwirkung) bewirken diese Maßnahmen bei den Hypertonikern in einer Reihe von Fällen eine Verhaltensänderung bezüglich des Lebensstils hin zu einer gesünderen Lebensweise.

Relaxation and health-related quality of life in multiple sclerosis: the example of autogenic training

Eine Pilotstudie mit 22 Patienten mit Multipler Sklerose, von denen 11 Teilnehmer Autogenes Training praktizierten und die restlichen 11 als Kontrollgruppe fungierte, zeigte ebenfalls eine signifikante Verbesserung der Lebensqualität in der AT-Gruppe. Diese Verbesserung trat schon nach 8 Wochen Training auf. Die Teilnehmer dieser Gruppe berichteten über mehr Energie und Vitalität als die Teilnehmer der Kontrollgruppe.

Sie zeigten auch eine weniger große Beeinträchtigung durch physische und emotionale Probleme. Da die Fallzahlen zu gering waren in dieser Studie und auch der Beobachtungszeitraum mit 10 Wochen relativ kurz ausgefallen war, schlugen die Autoren vor, eine größere und länger dauernde Studie zum Autogenen Training bei Multiple-Sklerose-Patienten durchzuführen, um zu aussagekräftigeren Ergebnissen zu gelangen.

Autogenic Training as a behavioural approach to insomnia: a prospective cohort study

In dem Beitrag zum Autogenen Training und Schmerzen hatte ich bereits eine Arbeit zitiert, die sich mit Schmerzen und Schlafstörungen beschäftigte und den Einfluss des Autogenen Trainings auf Schlafdauer, -qualität, -mittel und so weiter untersuchte. Aber nicht nur Schmerzen wirken schlafstörend. Eine Reihe von anderen chronischen Erkrankungen sind ebenfalls mit Schlafstörungen assoziiert.

Diese Störungen selbst sind dann an einer Verschlechterung der Erkrankung mit beteiligt, so dass ein Teufelskreis entsteht. Laut Aussagen dieser Studie von 2012 scheint man auch in der Schulmedizin immer mehr dazu überzugehen, solche Zustände lieber mit Hilfe von Verhaltenstherapien zu durchbrechen als mit Medikamenten.

Daher versuchten die Autoren die Wirksamkeit von Autogenem Training auf Schlafstörungen bei chronisch Kranken zu untersuchen. Dazu wurden die Resultate von 153 Teilnehmern vor und nach der Beobachtungszeit verglichen. Von diesen 153 Teilnehmern hatten 73 Prozent Schlafstörungen. Die Verbesserung von Schlafproblemen bezog sich auf: Einschlafdauer, schnelleres Einschlafen nach durchwachter Nacht, das Gefühl von erholsamen Schlaf und mehr Energie beim Aufwachen. Wohlgefühl, depressive Verstimmungen und Unruhe- und Angstzustände verbesserten sich ebenfalls signifikant.

Die Autoren schlossen aus ihren Beobachtungen, dass das Autogene Training Schlafparameter mit verschiedenen Erkrankungen verbessert. Depressionen und Unruhe- und Angstzustände verbessern sich, welche die Autoren als Grund für und Resultat von Schlafstörungen beschreiben.

Diese Verbesserungen kamen nach Meinung der Autoren deshalb zustande, weil der Fokus der Bemühungen während des Trainings nicht auf die Schlafproblematik gelegt worden war. Die Autoren folgerten weiter, dass das Autogene Training bei Schlafstörungen als so effektiv angesehen werden muss, dass es Teil der medizinischen Grundversorgung sein sollte.

Fazit

Das Autogene Training ist meiner Meinung nach immer noch zu wenig erforscht worden. Und das, obwohl die vorliegenden Arbeiten mehr als nur hoffnungsfrohe Fingerzeige sind. Ähnlich wie bei Heilpflanzen und Heilpilzen beschränkt sich das Anwendungsgebiet nicht nur auf eine einzige oder einige wenige Indikationen, ein typisches Merkmal für die pharmazeutischen Produkte (=Medikamente) einer segmentiell vorgehenden Schulmedizin. Das Autogene Training scheint zudem einen besonderen Stellenwert bei chronischen Erkrankungen zu haben, wo es begleitend zu weiteren Maßnahmen am Heilungsprozess beizutragen vermag.

Dieser Beitrag wurde am 29.4.2019 erstellt.