Autogenes Training bei Diabetes
Für Diabetes gibt es nicht sehr viele Untersuchungen, ob Autogenes Training beziehungsweise andere
Entspannungsübungen hier einen Nutzen für den Anwender bringen. Das ist nicht weiter verwunderlich. Denn fast jeder
wird sich fragen, wie eine Entspannungsübung und deren Entspannungsreaktion den Blutzucker senken könnten?
Das alte Dogma der Schulmedizin, stets den direkten Weg zum Ziel zu nehmen und Umwege auszuklammern, scheint
auch hier für den auffallenden Mangel an Literatur mit verantwortlich zu sein. Damit ist eins jetzt schon klar: Es
gäbe auch in diesem Bereich möglicherweise viel zu untersuchen und zu diskutieren. Aber Interesse dafür scheint
nicht zu bestehen. Und das, was es gibt, sind einige wenige Fallberichte und eine interessante Arbeit, bei der auch
für den Diabetes klinisch relevante Parameter gemessen wurden.
Kostić N et al.: Klinika za internu medicinu-Endokrinolosko odeljenje, KBC Dr Dragisa Misović, Beograd.
Effect of autogenic training on glucose regulation and lipid status in non-insulin dependent
diabetics in: Med Pregl. 2000 May-Jun;53(5-6):285-8.
Diese Arbeit kommt auch Belgrad und wurde im Jahr 2000 veröffentlicht. Das Ziel der Studie war die Untersuchung
des Nutzens von Autogenem Training bei Patienten mit Diabetes Typ-2. Es nahmen 40 Diabetiker teil, die mit oralen
Antidiabetika behandelt worden waren und zusätzlich Autogenes Training erhielten.
Gemessen wurde GHb (glykosyliertes Hämoglobin oder Hb A1c), was Aufschluss gibt über den Schweregrad der
Erkrankung beziehungsweise die Güte der Insulineinstellung bei insulinpflichtigen Patienten, sowie deren
Blutglukosewerte, Lipide und Lipidperoxidase über den Zeitraum von 12 Wochen.
Die Auswertung nach Ablauf des Beobachtungszeitraums ergab signifikante Verbesserungen der GHb-Werte. Gleiches traf
auch für die Nüchternwerte für Blutzuckerwerte zu.
Die Plasmakonzentrationen von HDL-Cholesterin waren nach dem Autogenen Training signifikant erhöht. Das
Gesamtcholesterin war nach dem Training signifikant erniedrigt. Gleiches gilt auch für die Lipidperoxidase.
Daher schlossen die Autoren, dass Autogenes Training bei ausgewählten Patienten, besonders bei denen, die
schnell auf Stress ansprechen, einen Nutzen bei der Kontrolle des Blutzuckers und Lipidmetabolismus zu haben
scheint. Die Autoren fügten noch hinzu, dass „konventionelle Behandlungsmethoden“, also die medikamentöse Gabe von
Antidiabetika, nicht immer in der Lage seien, ähnlich gute Effekte zu erreichen.
Fazit
Diese Arbeit kommt zu relativ eindeutigen Schlüssen, die den Einfluss des Autogenen Trainings auf den Organismus
bei anderen Indikationen zu reproduzieren scheinen. Leider gibt es hier keine Kontrollgruppe, so dass die
„evidenzbasierten“ Kritiker mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in den Startlöchern stehen und diese
Ergebnisse aufgrund formaler Mängel anzweifeln.
Bis zu einem gewissen Grad kann ich diese Kritik nachvollziehen, denn umgekehrt würde bei einer Studie über
Medikamente und deren Einfluss bei bestimmten Indikationen, ohne dass eine Kontrollgruppe Plazeboeffekte beurteilen
hilft, diese Kritik auch einiges an Berechtigung haben. Bei der vorliegenden Arbeit lässt sich auch der Verdacht
nicht ganz von der Hand weisen, dass die günstigen Effekte auf die Blutzuckerparameter möglicherweise primär auf
die orale Medikation zurückzuführen sind.
Man kann dem natürlich dagegen halten, dass diese Patienten nicht erst neu für diese Studie auf die
Antidiabetika eingestellt worden sind, sondern schon vorbehandelt waren, aber trotzdem keine „guten Werte“
aufweisen konnten. Erst mit der Ausübung von Autogenem Training für die Studie kamen die signifikanten
Veränderungen zustande. Alles in Allem kann man mit dieser Arbeit festhalten, dass das Autogene Training mit hoher
Wahrscheinlichkeit auch für Diabetiker Typ-2 einen Nutzen beim Management von Diabetes bringt. Wie der Einfluss der
Entspannungsreaktion durch das Autogene Training auf den Blutzuckerhaushalt aussieht und welche biochemischen
Mechanismen dahinter stehen, dazu gibt es keine Aussagen.
Weiter geht es mit einer Studie über Kinder und Jugendliche:
Göhr M, Röpcke B, Pistor K, Eggers C.
Autogenic training in children and adolescents with type 1 diabetes mellitus
in: Prax Kinderpsychol Kinderpsychiatr. 1997 Apr;46(4):288-303.
Diese Arbeit kommt aus Deutschland und wurde 1997 veröffentlicht. Sie wurde durchgeführt mit 21 Kindern und
Jugendlichen im Alter von 9 bis 14 Jahren, die an Diabetes Typ-1 litten. Diabetes Typ-1 und 2 sind aus Sicht der
Pathophysiologie zwei vollkommen verschiedene Erkrankungen. So ist der Typ-1 keine Stoffwechselstörung, sondern
beruht auf einer Autoimmunreaktion, bei der körpereigene Antikörper die insulinproduzierenden Zellen in der
Bauchspeicheldrüse vernichten.
Die Folge ist eine langsam abnehmende Zahl von β-Zellen und damit von Insulin. Hier kann mit oralen
Antidiabetika nichts gerichtet werden. Es gilt sogar als ärztlicher Kunstfehler, Typ-1-Diabetiker mit oralen
Antidiabetika zu behandeln. Die Anwendung von Insulin über Spritzen und anderen Applikationshilfen stellt besonders
für Kinder und Jugendliche eine enorme psychosoziale Belastung dar.
In dieser Studie, die über 11 Wochen lief, wurde den Teilnehmern ein Kurs über Autogenes Training angeboten. Ein
multidimensionler Fragebogen mit Fragen zu 15 Hauptthemenkomplexen für Kinder und 5 weiteren Themen mit sekundärer
Bedeutung wurde zu Beginn der Studie und an deren Schluss erarbeitet. Zusätzlich wurden die weiter oben erwähnten
GHb-Werte ermittelt.
Während der Nachverfolgung wurden diese Werte, deren Bestimmung mittlerweile eine notwendige Routineuntersuchung
von speziell jungen Diabetikern ist, nochmals nach 2 und 5 Monaten erhoben. Jugendliche können durch Diabetes neben
gesundheitlichen auch psychische Probleme bekommen. (Bild: stockxpertcom).
Nach Beendigung der Studie gab es bei einer Reihe von Hauptthemenkomplexen eine signifikante Verbesserung. Dies
waren eine signifikante Reduktion von:
- der Notwendigkeit für aggressives Verhalten für Dominanzansprüche
- dem Gefühl der Unterwürfigkeit anderen gegenüber
- emotionaler Labilität
- der Tendenz der Abhängigkeit von Erwachsenen
Eine signifikante Verbesserung wurde beim Selbstbewusstsein bezüglich der eigenen Meinung, Entscheidungen und
Planungsfähigkeit erzielt. Neurotisierende Tendenzen hatten abgenommen.
Entgegen aller Erwartung gab es keine Veränderung der Ghb-Werte, beziehungsweise stiegen diese sogar noch an.
Ursache für dieses Ergebnis sahen die Autoren in der „Infektionswelle“, von der die Teilnehmer während der Studie
ergriffen worden waren.
Auf der anderen Seite berichteten Teilnehmer und deren Eltern in einem Evaluationsbericht über die Studie, dass
es nach dem Autogenen Training zu weniger Problemen kam mit Aufmerksamkeit, weniger Prüfungsängste bestanden und
Aggression und Nervosität deutlich abgenommen hatten.
Fazit
In dieser Studie geht es nicht um medizinische Probleme, die sich möglicherweise mittels Autogenem Training
lösen lassen – oder auch nicht. Hier geht es um die psychologischen Auswirkungen, die eine solche Krankheit auf
Kinder und Jugendliche hat und deren Umgang damit. Die Studie versucht zu ergründen, inwiefern das Autogene
Training dazu beitragen kann, dass das Management der Erkrankung effektiver ausfällt. Da es sich hier um eine
Pilotstudie handelt, ist die Fallzahl von 21 nicht zu gering. Aber für definitive Aussagen müssen ähnlich angelegte
Arbeiten mit deutlich mehr Teilnehmern durchgeführt werden. Nichtsdestoweniger zeigt diese Arbeit eine positive
Tendenz für das Autogene Training als Stressmodulator für Betroffene dieser Erkrankung.
Als nächstes betrachten wir einen Fallbericht.
Perfect MM1, Elkins GR.: Department of Disability and Psychoeducational Studies, University of Arizona, 1430 E.
2nd St., Tucson, AZ 85721, USA. mperfect@email.arizona.edu
Cognitive-behavioral therapy and hypnotic relaxation to treat sleep problems in an adolescent
with diabetes
in: J Clin Psychol. 2010 Nov;66(11):1205-15. doi: 10.1002/jclp.20732.
Diese Veröffentlichung ist keine Studie, sondern ein Fallbericht. Jugendliche Diabetiker haben oft
krankheitsbedingt Begleitstörungen, die kein zu unterschätzendes Krankheitspotential haben. So scheinen
Schlafstörungen bei jungen Diabetikern keine Seltenheit zu sein. Das wiederum wirkt sich negativ aus auf das
Lernvermögen, erhöht die Unruhe, vermindert das Konzentrationsvermögen und fördert die Ausbildung von
Depressionen.
Der vorliegende Fall berichtet von einer 14-jährigen Diabetikerin mit stressinduzierten Schlafstörungen. Die
psychologische Behandlung umfasste kognitive und verhaltensverändernde Methoden und eine hypnotische
Entspannungstherapie. Ob es sich hier um Autogenes Training handelte, das wurde nicht vermerkt. Das Ergebnis
jedenfalls war, dass die Therapie gut ansprach, eine gute Compliance bei der Patientin hatte und einen Teil der
Schlafprobleme gelöst zu haben schien.
Fazit
Dieser Fallbericht ist zwar sehr vage, umschreibt aber in seinen wesentlichen Zügen die Effekte, die auf
psychologischer Ebene auch vom Autogenen Training geleistet werden. Daher steht zu vermuten, dass der Einsatz von
Autogenem Training bei (jugendlichen) Diabetikern in der Lage ist, eine Reihe von psychologischen
krankheitsbedingten Problemen und deren Konsequenzen zu mildern.
Nächste Studie:
Saunders JT1, Cox DJ, Teates CD, Pohl SL.: University of Virginia Diabetes Center Outreach Program, Health
Sciences Center, Charlottesville 22908.
Thermal biofeedback in the treatment of intermittent claudication in diabetes: a case
study
in: Biofeedback Self Regul. 1994 Dec;19(4):337-45.
Zurück zur Physiologie und ihren besser messbaren Parametern. Diese Arbeit ist ebenfalls „nur“ ein Fallbericht.
Es geht um einen Patienten mit nicht-insulinabhängigem Diabetes, Gefäßerkrankung und Symptomen einer „Claudicatio
intermittens“. Hierbei handelt es sich um Durchblutungsstörungen der unteren Extremitäten, die langes Gehen und
Stehen unmöglich machen.
Der Patient erhielt eine thermale Biofeedback-Behandlung für Hände (5 mal) und Füße (16 mal), bei der die
Hauttemperatur von Händen und Füßen gemessen wurde. Zusätzlich erhielt der Patient Autogenes Training, das er
täglich zuhause trainierte. Die Nachfolgemessungen wurden nach 12 und 48 Monaten durchgeführt. Während der
Behandlungsdurchgänge stieg die Temperatur der Füße signifikant an als Reaktion auf die Biofeedback-Behandlung.
Die Anfangstemperatur der Füße vor Behandlungsbeginn stieg von Sitzung zu Sitzung an. Am Ende des
Beobachtungszeitraums zeigte sich zudem eine Senkung des Blutdrucks auf Normalwerte. Attacken von Claudicatio
intermittens verschwanden sogar auf Null nach nur 12 Sitzungen. Die Laufstrecken erhöhten sich um circa eine Meile
(1,6 Kilometer) pro Tag während der Beobachtungszeit. Daher schlossen die Autoren, dass thermales Biofeedback und
Autogenes Training eine vielversprechende Therapie für Personen mit Diabetes und peripherer Durchblutungsstörung
sein könnten.
Fazit
Der Rückschluss auf die Effektivität anhand eines Fallbeispiels ist natürlich so nicht nachvollziehbar. Aber
auch solche Fallbeispiele geben wertvolle Hinweise, wonach man möglicherweise zu suchen hat. In diesem Beispiel
erscheint eine positive Korrelation von gleich zwei Erkrankungen (Diabetes und Claudicatio intermittens) und
Autogenem Training in Kombination mit thermalen Biofeedback.
Allgemeines Fazit zu Autogenem Training und Diabetes
Keine der vorliegenden Arbeiten ging von der Hypothese aus, dass man möglicherweise mit Hilfe von Autogenem
Training Diabetes heilen kann. Hier scheint das Autogene Training „bestenfalls“ eine gute Hilfe zu sein, um auf
psychologischer und physiologischer Ebene eine Reihe von mit der Erkrankung verbundenen Symptomen zu mildern. Für
die Heilung eines Diabetes Typ-2 gibt es andere, effektivere Methoden, bei denen das Autogene Training aber
durchaus wertvolle Hilfestellung geben kann.
Dieser Artikel wurde am 29.4.2019 erstellt.
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